Die Stadt, die kein Plan abbilden kann
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Städte sind keine Produkte, sondern Prozesse – unfertig, widersprüchlich, lebendig. Wer sich die Skyline von 2050 als statisches Bild vorstellt, übersieht das Wesentliche: Urbanität bedeutet Bewegung, Konflikt und kollektive Improvisation – nicht aus Beton und Stahl, sondern aus der Sehnsucht nach Veränderung und Identität.
Prof. Hubert Klumpner, Architekt und Mitbegründer von Urbanthinktank_next, beschreibt die Stadt als soziales System, das antwortet – nicht gehorcht. «Nicht Hochhäuser und Renderings machen die Zukunft aus, sondern Resilienz, Menschlichkeit und Natur, die als kritische Infrastruktur mitten in der Stadt ihren Platz hat.»
Futuristische Skizzen zeigen Hochhäuser, Drohnenverkehr, digitale Steuerung. Doch wer glaubt, Zürich oder São Paulo sähen 2050 so aus, irrt. Städte sind keine Maschinen, sondern lebendige Organismen: sie atmen, wachsen, vernarben, heilen – und schlagen oft eigene Wege ein.
«Städte sind reaktive Systeme», erklärt Klumpner. Sie antworten auf Migration, Klimakrise und soziale Spannungen. Masterpläne taugen nur bedingt – sie sind oft überholt, bevor sie ihre Versprechen einlösen. Urbanisierung erfordert permanentes Management: Wo Chaos herrscht, keimt Innovation.
Eine treibende Kraft urbaner Entwicklung ist die Sehnsucht nach Natur. Lange galt die Stadt als Gegenteil der grünen und blauen Landschaft. Heute drängt Landschaft in die Stadt zurück: urbane Gärten, Dachfarmen, begrünte Fassaden – nicht mehr Dekoration, sondern Überlebensstrategie. «Die Stadt als Garten», nennt Klumpner dieses Bild im Gegensatz zur fortschrittsfeindlichen Gartenstadt des 19. und 20. Jahrhunderts – ein lebendiger hybrider Raum, in dem Landwirtschaft, Natur und Urbanität verschmelzen. Asphalt wird porös, Dächer werden Gärten, Fassaden atmen. Natur ist nicht Dekor, sondern als integraler Teil der gesamten Infrastruktur respektiert.
Parallel verändert sich das Wohnen: Modulare Typologien ersetzen feste Grundrisse. Arbeiten, Lernen und Leben verschmelzen. Architektur wird zum Werkzeug sozialer Aushandlung – flexibel, gemeinschaftlich, zugänglich. Die starre Vierzimmerwohnung für die Kernfamilie ist eine Sackgasse. Neue Strukturen erlauben Anpassung, Koppelung und Trennung. Öffentliche Räume und Gemeinschaft werden zur Grundlage des Lebens in der gebauten Umwelt. Die heute geltenden 45 bis 50 Quadratmeter Wohnfläche pro Person sind weit überzogen, das Resultat sind mangelnde Erfahrung von echter öffentlicher Teilhabe in Gemeinschaftsräumen und falsche Wertvorstellungen. All das hindert uns, uns der Krise des Wohnens und der nachhaltigen Mobilität einen Schritt anzunähern.
Öffentliche Anhörung des neuen Plans für Sarajevo, der im Rahmen eines Forschungsprojekts von der ETH als urbaner, digitaler Zwilling entwickelt wurde
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Doch die Zukunft der Stadt entscheidet sich nicht in Grundrissen oder Technologien, sondern genau in diesem sozialen Gefüge. Städte sind Verhandlungsräume: Wer darf hier sein? Wer bestimmt den Platz? Wer bestimmt über öffentlichen Grund und Boden? Früher Planer und Investoren, morgen Initiativen, Nachbarschaften, Migranten, Bürgerbewegungen, Technologieunternehmen. Vielstimmigkeit macht Städte lebendig – und unberechenbar. Statt uns in Gated Communities zurückzuziehen, müssen wir Diversität aushalten.
Klumpner spricht von Koexistenz: Nicht Homogenität stärkt die Stadt, sondern Spannung – das Nebeneinander von Alt und Neu, Villen und informellen Quartieren, Perfektion und Improvisation. Dort, wo Ressourcen knapp sind, wie in Lateinamerika, entsteht oft das Überraschendste: Seilbahnen verbinden Quartiere in Medellín; in Südafrika werden durch konkrete Brückenbauten Zonen aus dem Erbe der Apartheid befreit. Was wie Flickwerk wirkt, ist Ausdruck von Anpassungsfähigkeit. Europa könnte davon lernen: weniger Perfektion, mehr Spontaneität.
Zürich ist in diesem Sinne ein Labor: kompakt, international relevant, dicht und lebenswert. Hier könnten Modelle entstehen, die andernorts Schule machen – von begrünten Quartieren bis zu hybriden Wohn- und Arbeitsformen.
Am Ende stellt sich die Frage: Was bleibt vom Begriff «Stadt», wenn Grünflächen, Landwirtschaft und Gemeinschaftszonen wieder Teil des Zentrums werden? Vielleicht ist die Stadt 2050 kein Bild mehr, sondern ein Geflecht von Räumen – zwischen Beton und Garten, Technik und Menschlichkeit.
Die Zukunft der Stadt ist kein Plan, kein Rendering, sondern eine Haltung: gemeinsam, widersprüchlich, wandelbar – und gerade darin zutiefst allem Lebendigen verbunden.