Microlino – Ein Auto wie ein Smartphone
Oliver, Wim und Merlin Ouboter (v.l.n.r) im Microlino
Erlebniswelt
Behände kurven wir den Hügel hoch. Der Pfannenstiel leuchtet in den schönsten Herbstfarben, und je steiler es wird, desto emsiger surrt der Wagen. Bald wird klar, weshalb das Vorbild dieses kleinen Autos auch «Knutschkugel» genannt wird: Zu zweit im Microlino ist es wirklich sehr kuschelig. Und, das wird schon beim Einsteigen über die Fronttüre klar, abenteuerlich. Das ist keine normale Ausfahrt, wir schreiben gerade ein kleines bisschen Automobilgeschichte.
Angefangen hat alles in den 1940er-Jahren. Nach dem Krieg wurde das Auto zum Luxusgut und viele entschieden sich für die Minimalvariante, die Isetta. Der Zweiplätzer mit niedlichem Aussehen reichte für das Nötigste und war bald sehr beliebt. Doch dann kamen die finanziellen Mittel zurück und die Bubble Cars verschwanden aus den Strassen.
Jahrzehnte später entdecken Merlin und Oliver Ouboter, Söhne des Micro-Gründers Wim Ouboter, die Idee neu. Immer weniger Platz in den Städten und trotzdem immer mehr SUVs? Da geht doch etwas nicht auf. Als Werbegag produzieren sie 2016 den ersten Microlino für den Autosalon Genf und werden überrannt von Bestellungen. Sie beschliessen: Wir ziehen das durch. Heute haben sie eine Fabrik in Turin mit 80 Mitarbeitenden und bereits 4500 verkaufte Autos.
Merlin Ouboter, wie sieht die Welt der Mobilität in 50 Jahren aus?
Ich erwarte vor allem einen Wandel weg vom grossen Alltagsfahrzeug. In Europa legt man 30, 35 Kilometer am Tag zurück mit 1,2 Personen pro Auto, dazu braucht man keinen SUV. Man wird kleine, leichte Elektroautos fahren und für die weiteren Strecken ein paar Mal pro Jahr einen Wagen mieten. Aber auch der Trend des autonomen Fahrens wird sicher wichtig bleiben.
Der amerikanische Informatiker Alan Kay soll einst gesagt haben: «The best way to predict the future is to invent it.» Haben Sie die Zukunft der urbanen Mobilität erfunden?
Zumindest einen kleinen Baustein zur Zukunft der urbanen Mobilität tragen wir bestimmt bei. Autos werden tendenziell immer grösser und schwerer – wir setzen auf das Gegenteil und sind damit Vorreiter.
Wie kommt ein Unternehmen, das weltbekannt für Trottinetts ist, dazu, ein Auto zu bauen?
Ursprünglich war das ein PR-Gag, eine Zukunftsvision für Micro. Bei Scootern ist der Raum für Innovation ja begrenzt: Am Ende bleibt es ein Lenker und ein Trittbrett. Also dachten wir grösser und stellten fest, dass das normale Auto für seine Alltagsstrecken völlig überdimensioniert ist. Ein Blick in die Geschichte führte uns zu den Bubble Cars, ein hochaktuelles Konzept!
Gäbe es den Microlino ohne Micro – oder ist er die logische Weiterentwicklung einer Vision?
Das Lustige ist: Für Automarken wäre die Entwicklung hin zum Mini-Auto ein Rückschritt, für einen Scooter-Hersteller ist sie ein klarer Schritt nach vorn. Das war schon bei den Trottinetts so: Keine Velomarke macht Scooter, also machen wir sie. Von dem her ja, unsere Firmengeschichte ist entscheidend für die Entwicklung des Microlino.
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Wussten Sie schon immer, dass Sie ins Familienunternehmen einsteigen würden?
Mein Bruder und ich hatten immer eine enge Beziehung zum Unternehmen. Das liegt auch an der Branche: Beim Thema Scooter kannst du als Kind direkt mitreden. Wir waren die ersten Versuchskaninchen, hatten eine Garage voller Prototypen und halfen in der Werkstatt aus. Als Teenager motzten wir Micros für Skateparks auf: Wir bauten Modification Kits, die den fragilen Faltmechanismus verstärkten, und verkauften sie in der Nachbarschaft. Die Teile dafür hatten wir aus der Werkstatt. Unser Vater hat uns dann erklärt, dass das nicht geht, und wir dachten zum ersten Mal über Marge nach.
Für wen haben Sie den Microlino designt?
Unsere Kundschaft ist breit gefächert. Die meisten nutzen den Microlino als Zweit- oder Drittwagen, für rund 10 Prozent ist er das erste Auto. Für sie steht die Nachhaltigkeit im Vordergrund, andere schätzen Design und Konzept. Aber auch das Sparpotenzial ist enorm: Eine volle Ladung kostet drei Franken und reicht für 200 Kilometer! Günstiger geht’s kaum.
Ist der Microlino ein Symbol für eine neue Art von urbanem Luxus, ein Statussymbol?
Ja, schon. Er ist ein Statement, er sagt: «Schaut her, ich bin smart, sympathisch, neugierig, lebensfroh!» In Zürich hat sich der Microlino langsam etabliert, da grüsst man sich auf der Strasse. Statt Reichtum zeigt man Hirn.
Ihr Fahrzeug steht für Nachhaltigkeit und Effizienz. Wirkt sich dieser Anspruch aufs Fahrgefühl aus?
Der Microlino ist kein vollwertiges Auto, das muss man schon sehen. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 90 km / h, aber dafür kann man drei Microlinos quer auf einen Parkplatz stellen. Er ist sehr wendig und hat nach vier Stunden wieder eine volle Batterie – über eine normale Haushaltssteckdose, wie ein Smartphone. Ein Tesla braucht dafür zehnmal so lange.
Wer ein Elektrofahrzeug kauft, erwartet auch politische Vorteile oder CO2-Bonus-Anrechnungen. Der Staat ist diesbezüglich noch viel zu inkonsistent, darunter leidet auch Microlino. Nun haben Sie die bekannte Anwältin Cordelia Bähr engagiert. Welches Resultat erhoffen Sie sich?
Cordelia Bähr wurde bekannt durch die Klimaseniorinnen, mit denen zusammen sie die Schweiz erfolgreich wegen mangelnden Klimaschutzes verklagt hat. Gemeinsam mit ihr wollen wir uns für unsere Fahrzeugklasse einsetzen, es geht ja nicht nur um uns. Es ist absurd: Obwohl wir täglich Verbrenner aus dem Verkehr ziehen, können wir keine CO2-Zertifikate verkaufen. Tesla hat damit schon über neun Milliarden Euro verdient, das ist eine wichtige indirekte Subventionierung von Elektroautos. Wir dagegen gelten nicht als Auto, sondern als Töff. Nur wenn es um Importzölle geht, sind wir plötzlich doch ein Auto. Dabei wiegt ein Microlino mit Batterie, Gepäck und zwei Personen weniger als die Batterie eines Elektro-SUVs. Der Energieverbrauch pro Person liegt bei uns etwa auf Zugniveau, unsere Fahrzeugklasse müsste also unbedingt gesondert betrachtet werden.
Sie sind noch keine 30 und haben schon sehr viel erreicht. Worauf sind Sie stolz?
Es wäre falsch, den Erfolg mir selbst zuzuschreiben. Ich bin kein Musiker, der allein auf der Bühne steht, wir sind ein Orchester und Microlino ein Gemeinschaftserfolg. Wir sind mittlerweile eigentlich die einzige Automobilmarke aus der Schweiz, darauf sind wir stolz.
Wenn Sie einen Wunsch an die Zukunft richten könnten, welcher wäre der dringendste?
Ich würde mir wünschen, dass wieder mehr Diskurs möglich wäre. Dass man sich in die Augen schaut und sagt: Da sind wir anderer Meinung. Zwischen Elektro- und Verbrenner-Fans, aber auch in der Gesellschaft wünschte ich mir, dass die gemässigte Meinung wieder lauter würde.
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