Elke Heidenreich – Lustvoll altern
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Elke Heidenreich über Liebe, Zorn, Mozart – und das grosse Trotzdem des Alters
«Was macht das jetzt mit mir, das Alter?», schreibt Elke Heidenreich. «Ich habe keine Ahnung. Ich weiss nur: Ich stelle mich ihm. Ich verleugne es nicht. Ich versuche nicht jünger zu wirken, als ich bin. Und ich finde schon gar nicht, dass das Leben im Alter weniger wert ist.» So steht es in ihrem neuen Buch Altern, im Mai 2024 bei Hanser erschienen und mit der Wucht einer unerschrockenen alten Dame auf Platz 1 der Spiegel-Bestseller geklettert. «Klug, lustig, manchmal traurig; aber immer mitreissend», heisst es in einer Rezension – ein Buch, das Mut macht, weil es nicht beschönigt, sondern leuchtet. Frank Joss – mitten im eigenen, leisen, unerbittlichen Prozess des Älterwerdens – hat Elke Heidenreich in Zürich getroffen. Und ging nach Hause mit einem Koffer voller Zuversicht und einer Erkenntnis: Liebestod entsteht selten durch eine grosse Wunde. Es sind die kleinen Nachlässigkeiten, die täglichen Verstimmungen, das Schweigen. Nichts Besonderes. Nur alles.
Frank Joss: Ihr Buch Altern ist eines der klügsten, versöhnlichsten, die ich je über das Altwerden gelesen habe. Was wollten Sie uns Silver Agern mit auf den Weg geben?
Elke Heidenreich: Ganz einfach: Ihr wollt alle alt werden – aber keiner will alt sein. Das ist doch absurd. Seid doch froh, wenn ihr alt werden dürft! Geniesst jeden Tag, seid dankbar. Und ja, ich wollte auch ein bisschen trotzig sein. Weil man uns Alten dauernd die Schuld an allem zuschiebt. Wir sind schuld am Klima, an der Politik, an der Misere der Welt. Aber das stimmt nicht. Gerade wir waren eine politisch sehr aktive Generation. Mit dieser Entwertung der Welt durch Kriege und neuen Nationalismus hat doch niemand gerechnet. Ich wollte ein Buch schreiben, das sagt: Das Alter ist nicht nur mit Defiziten behaftet, sondern durchaus auch mit Glück und Freude.
Frank Joss: Was mich an Ihnen fasziniert, ist diese Gelassenheit gegenüber dem Leben. Ich habe diese noch nicht ganz intus.
Elke Heidenreich: Hat doch keiner immer! Aber ich bin dankbar, so alt geworden zu sein – in einem Land ohne Krieg. Mein Grundgefühl ist Dankbarkeit. Ich habe Wasser. Brot. Freiheit. Ich kann sagen, was ich denke, ohne dafür eingesperrt zu werden. Schauen Sie sich die Welt an, das ist alles nicht selbstverständlich.
Frank Joss: Ich spüre, wenn ich Ihnen zuhöre, dass Sie sich mit vielem im Leben versöhnt haben. Empören Sie sich trotzdem über gewisse Gegebenheiten immer wieder; im Sinne von Stéphane Hessel in seinem Werk «Indignez-vous!» (Empört euch!)?
Elke Heidenreich: Ja, über Zustände, die nicht in Ordnung sind, sollte man sich natürlich empören. Ich würde jungen Menschen Mut machen wollen, mit aller denkbaren Vehemenz gegen die zunehmende soziale Schieflage anzukämpfen. Dass sie sich ohne Zögern gegen einfältige, gefährlich verflachende politische Entwicklungen erheben sollen, die uns Schritt für Schritt die Fähigkeit zum Denken, Zweifeln, Widerstandzeigen austreiben wollen. Empört euch! Das ist nicht einfach, aber das war es nie. Wir mussten uns auch auseinandersetzen mit unseren Nazi-Eltern, heute muss man aufstehen gegen eine Politik, die demokratische Werte zerstört. Mut ist wichtig.
Frank Joss: Beim Lesen Ihrer Texte höre ich Musik. Sie schreiben, als würden Sie komponieren. Warum?
Elke Heidenreich: (lacht) So, das klingt aber schön! Musik ist meine grosse Liebe. Aber die Literatur, die ich natürlich auch liebe, ist mein Beruf. Ich brauche beides. Dass ich musikalisch schreibe, ist mir gar nicht bewusst, aber ich nehme es als grosses Kompliment! Ich habe ja auch viele Jahre für die Oper gearbeitet, Libretti bearbeitet und selbst Opernlibretti geschrieben. Vielleicht hat es damit zu tun.
Frank Joss: Wenn Sie Musik wären … ?
Elke Heidenreich: Ich wäre vielleicht ein bisschen Mozart. Sprunghaft, fröhlich, melancholisch – aber ohne sein Genie, nur vielleicht mit seinem Tempo! Schubert wäre auch möglich – der ist mir im Alter jetzt sehr nah mit seiner leisen Melancholie. Aber oft ist meine Stimmung auch eher wie Musik von Rachmaninoff (sie schmunzelt breit): Mit einer gehörigen Portion Kraft und Zorn und einem grossen Trotzdem.
Frank Joss: Sie schreiben oft vom Beobachten. Ist Genauigkeit Ihr innerster Kern?
Elke Heidenreich: Ohne Beobachtung gibt’s doch keine Geschichten! Das Leben serviert einem ständig kleine Szenen, man muss sie nur sehen. Meine Texte sind selten autobiografisch – aber selbstverständlich auch nie ganz frei davon. Ein Kern ist immer erlebt, aber drum herum wird erzählt und fantasiert, das ist es ja, wie Literatur entsteht.
Frank Joss: Altern wirkt aber sehr autobiografisch …
Elke Heidenreich: Sollte es ja auch. Ich bin über 80 – da darf man Bilanz ziehen. Das Buch ist ein Pendel zwischen «Ich habe alles falsch gemacht» und «Ich hatte ein wunderbares Leben». Am Ende sage ich den Lesern: Suchen Sie sich aus, was Ihnen besser gefällt. Aber es ist auch wahr, dass jedes Leben aus diesen beiden Seiten besteht. Nie ist alles nur gut oder nur schlecht.
Frank Joss: Ein schönes «Amuse-Bouche» für das Älterwerden.
Elke Heidenreich: Mein Leben war oft sehr hart und doch wunderbar zugleich. Krankheiten, Trennungen, Irrwege – und dann wieder Glück, Liebe, Freunde, Zufälle. So geht es doch allen. Man darf nur den Mut nicht verlieren, es geht auf und ab, beides muss man aushalten können.
Frank Joss: Hat sich Elke Heidenreich mit dem Leben versöhnt?
Elke Heidenreich: Ja. Mit fast 83 weiss ich: Das meiste ist unwichtig. Die Dramen, die Ängste, die Erwartungen. Vieles vergeht, manches bleibt. Beziehungen prägen uns. Und im Alter trägt man die Konsequenzen – aber auch die Früchte. Dass ich mit dem Schreiben so einen Erfolg habe, macht mich glücklich und im Alter sorgenfrei, das ist ein grosses Geschenk. Und jetzt geht es im Grunde um Gelassenheit: Atmen. Dankbar sein. Und überhaupt: Erst mal muss der Hund raus!